Vor genau einem Jahr ist sein Buch „Deutschland schafft sich ab“ eingeschlagen wie eine Bombe. Für seine integrationspolitischen Thesen wurde der damalige Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin von Kanzlerin Angelika Merkel und Bundespräsident Christian Wulff abwärts wild gescholten, Allzeitgrößen wie Ex-Kanzler Helmut Schmidt und der Philosoph Peter Sloterdijk verteidigten die Denkanstöße. Das Buch wurde zum Bestseller, Sarrazins Vorträge wurden gestürmt.
Am Donnerstag kommt der Autor, der seinen Bundesbank-Job verlor und den die SPD aus Angst vor der eigenen Basis lieber doch nicht aus der Partei ausschloss, auf Einladung des ÖVP-Bauernbundes zu einem Vortrag nach Graz. Im KURIER-Interview erläutert Sarrazin unbeeindruckt von jeder Kritik seine umstrittensten Thesen, etwa warum die Intelligenz Deutschlands durch muslimische Zuwanderung sinkt und dass Migranten ihre Kinder als Einkommenssicherung sehen.
Unterklassenproblem
Das Interview:
„Ich möchte nicht, dass das Land meiner Enkel in großen Teilen muslimisch ist, … die Frauen Kopftuch tragen und der Tagesrhythmus vom Ruf der Muezzine bestimmt wird“ – muss man so übertreiben, um gehört zu werden?
Das ist ja keine Übertreibung, das ist die soziale Wirklichkeit in bestimmten Teilen Berlins. Und das verwirklicht sich in hohem Tempo.
Aufgrund der Demographie?
Und aufgrund fortgesetzter weiterer Zuwanderung. Also muss man den Blick auf bestimmte Stadtteile richten und schauen, wie sich dort die Entwicklung in den letzten 40 Jahren vollzogen hat. Die türkischstämmige Redakteurin Güner Balci sagte jüngst in der FAZ am Sonntag über Neukölln: „Vor 20 Jahren war das noch eine bunt gemischte Gesellschaft, dann zogen immer mehr weg, es wurde aggressiver, die Gewalt nahm zu auf den Straßen, immer mehr Mädchen und Frauen trugen Kopftuch, ein anderes Weltbild setzte sich durch.“ Diese Entwicklung ins Negative breitet sich aus.
Und die würden Sie gerne stoppen. Wie?
Erstens: Änderung des Sozialrechts – Zuwanderer bekommen für mindestens zehn Jahre keine Sozialtransfers. Zweitens: Änderung des Aufenthaltsrechts – nur die bekommen Aufenthaltsrecht, die auf Dauer in Deutschland einen qualifizierten Beitrag leisten können und wollen. Drittens: Sozialleistungen und Familienleistungen in Deutschland werden von ausreichenden Sprachkenntnissen und dem Bemühen um Integration abhängig gemacht. Viertens: Die muslimischen Migranten, die bei uns sind, denen muss man ganz klar sagen: Irgendwann werdet ihr Deutsche, auch wenn ihr natürlich weiterhin türkisch kochen und in die Moschee gehen könnt, und wenn ihr das nicht wollt, geht ihr besser zurück. Umfragen zeigen, dass über 60 Prozent der Türken in Deutschland nicht oder nicht gut Deutsch sprechen, und ein Drittel würde sofort Deutschland verlassen, wenn es keine deutsche Sozialhilfe gäbe.
Sie beklagen die demographische Überlegenheit der muslimischen Migranten und die niedrige Geburtenrate der Deutschen. Gleichzeitig sollen nur diejenigen Frauen Kinder bekommen, die das Umfeld und die „persönlichen Eigenschaften haben, mit der Erziehung fertig zu werden“. Ist das nicht ein Widerspruch?
Sie zitieren mich nicht richtig. Jeder kann die Kinder bekommen, die er will. Nur sollten ihm deren Kosten nicht vom Staat finanziert werden. Unabhängig vom Thema Zuwanderung haben wir das Problem, dass die gebildeten Schichten in Deutschland unterdurchschnittlich wenig Kinder bekommen. Das liegt an den Rahmenbedingungen des modernen Sozialstaates: Bei Menschen mit niedrigerem Einkommen und noch mehr bei bildungsfernen Migranten sorgt der Familienlastenausgleich dafür, dass jedes Kind das Haushaltseinkommen um mehr erhöht, als das Kind kostet. Das heißt, das Kind ist dort ein Instrument zur Erzeugung eines höheren Einkommens, während es für die gebildeten Frauen mit guten Arbeitsplatzaussichten Wohlstandsverzicht bedeutet. Darum würde ich die Sozialpolitik so umstellen, dass es keinerlei Anreize gibt, aus materiellen Gründen Kinder zu bekommen.
Sie verquicken das in Ihrem Buch – höchst umstritten – mit der Verteilung der Intelligenz: „Bei höherer Fruchtbarkeit der weniger Intelligenten sinkt die durchschnittliche Intelligenz der Grundgesamtheit“. Das heißt doch: Arm ist gleich dumm, und die dürfen keine Kinder bekommen?
Nochmal: Jeder kann die Kinder bekommen, die er will, er sollte aber selbst für ihren Unterhalt aufkommen. Der Staat muss seinen Beitrag durch das staatliche Bildungssystem leisten. Zur Intelligenz führe ich nur einen Dreisatz durch. Erstens: Die bei Menschen gemessenen Intelligenzunterschiede sind zu 50 bis 80 Prozent erblich, das sagt die Wissenschaft. Zweitens: Gebildete Menschen bekommen deutlich weniger Kinder, das sagt das Statistische Bundesamt. Intelligenz und Bildung sind, wie nicht anders zu erwarten, positiv korreliert. Daraus folgt drittens: Wenn sich der Trend fortsetzt, dass die weniger Intelligenten mehr Kinder bekommen, dann sinkt die durchschnittliche genotypische Intelligenz, also der erbliche Anteil der Intelligenz in der Bevölkerung.
Und Muslime sind dümmer als andere Einwanderer?
Das steht nirgendwo in meinem Buch, und das habe ich auch nicht gesagt. In meinem Buch führe ich die durchschnittlich niedrigere Bildungsleistung der muslimischen Migranten auf ihren durch den Islam geprägten kulturellen Hintergrund zurück. Die Einstellung zu Bildung und Wissen, Eigenschaften wie Fleiß und Genauigkeit und Pflichtbewusstsein vererben sich kulturell. Wir übernehmen zu ganz großen Teilen die Werte und Einstellungen der Kultur und der Schicht, in der wir aufwachsen. Das ist der Grund, warum das Unterklassenproblem in England nicht vernünftig gelöst wird, weshalb Süditaliener anders sind als Mailänder. Und genauso ist das mit den muslimischen Migranten, die wir bekommen: Sie bringen ihre Kulturen mit und erbringen bei uns die Schulleistungen, die sie auch in ihren Heimatländern haben. Ihre Minderleistung ergibt sich nicht aus einer besonderen Benachteiligung bei uns. Die neueste Pisa-Studie zeigt, dass 15-jährige Schüler in der Türkei oder in arabischen Ländern hinter dem durchschnittlichen Schulleistungsniveau in Europa zwei bis drei Jahre zurück sind, dass der Anteil der Minderleister weitaus höher und der der Spitzenleister weitaus niedriger ist. Bei Einwanderern aus Ostasien nach USA, Kanada, Australien oder Europa ist es dagegen umgekehrt, die erbringen durchschnittlich eine weitaus bessere Bildungsleistung als die Einheimischen.
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